Ein Maurergeselle aus Aachen

© 2006 Silvia Friedrich

Denkt man an ihn, kommt einem sofort die Neue Nationalgalerie in Berlin in den Sinn, das Glanzstück seines Schaffens. Kaum einer verbindet mit seinem Namen ein hübsches Landhäuschen mit rotem Satteldach in grüner Umgebung. Und doch begann genau damit die Karriere eines Mannes, der wie kein zweiter Architekt das Bild des 20. Jahrhunderts prägte.

Ludwig Maria Michael Mies erblickt am 27. März 1886 in Aachen das Licht der Welt. Sein Vater ist Steinmetzmeister. Sehr früh kommt der kleine Ludwig mit verschiedenen Materialien in Berührung, lernt die handwerkliche Arbeit kennen und weiß sie zu schätzen. Der Sohn des Aachener Handwerkers besucht eine Gewerbeschule, macht parallel dazu eine Maurerlehre und arbeitet danach schließlich als Zeichner in Architekturbüros. Der später zu den einflußreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts gehörende Deutsche, wird nie im Leben Architektur studieren.

Ein Mitarbeiter rät ihm, sich nach Berlin zu bewerben. Ludwig Mies schreibt daraufhin auf eine Zeitungsannonce. Und tatsächlich wird er angenommen. 1905 darf er als Zeichner im Städtischen Bauamt Rixdorf, dem heutigen Berlin-Neukölln, eine Stelle antreten. Man überlässt ihm die Ausarbeitung der Wandverkleidung des Rathausplenarsaales. Aber der junge Mann will mehr. Noch 1905 beginnt er im Architekturbüro von Bruno Paul zu arbeiten. Paul hat sich als Möbeldesigner einen Namen gemacht und war gerade Direktor der Kunstgewerbeschule geworden. Auch der junge Aachener läßt sich ab und zu in der Schule sehen, schreibt sich als Student ein. Zeitgleich mit Ludwig Mies kommt 1905 ein renommierter Philosophieprofessor nach Berlin. Alois Riehl war auf dem Höhepunkt seiner Karriere dem Ruf an die Berliner Universität gefolgt und sucht nun ein entsprechendes Domizil, wo er mit seiner Frau wohnen kann. Durch einen Kollegen im Büro Paul lernen sich Mies und das Ehepaar Riehl kennen. Die gutsituierten Herrschaften möchten einen jungen Architekten fördern. Sicher hatten sie sich bei ihrem Ansinnen keinen unerfahrenen Neuling vorgestellt, der zwanzigjährige Ludwig Mies bekommt den Auftrag dennoch. Wodurch überzeugt er sie? Er hatte nichts vorzuweisen, außer einer Maurerlehre und etwas praktischer Tätigkeit in Architektenbüros. Ist es die Begabung, die dem Professor auffällt? Ist es die ruhige, selbstbewusste, gänzlich uneitle Art, mit der Mies Zeit seines Lebens seine Auftraggeber zu beeindrucken weiß? Egal, woran es liegt, der junge Mann erhält den Auftrag und schafft ein Erstlingswerk, das in keinster Weise den Anfänger zu erkennen gibt. Bruno Paul, der Architekt, in dessen Büro Mies arbeitet, bemängelt nur einen Fehler; dass er selbst es nicht gebaut habe. Die Riehls sind begeistert, schenken dem Zwanzigjährigen zu Studienzwecken eine mehrwöchige Reise nach Italien. Später laden sie ihn oft zu sich nach Hause ein. Im hochkarätigen Freundeskreis des Ehepaares findet er zunehmend seine neuen Auftraggeber. Das zunächst schlicht erscheinende Landhaus der Riehls mit steilem Satteldach und querstehendem Giebel steht auf einem Plateau, in einem Rosengarten. Nicht einsehbar von der Straßenseite erhebt sich auf einer Feldsteinmauer die klassische Giebelfront zum stark abfallenden Hanggrundstück. Sicher wissen weder Bauherr noch Baumeister zur Zeit der Fertigstellung des Gebäudes, das es einmal als "Meilenstein der Moderne" bezeichnet werden wird, als Brücke zwischen preußischer Bautradition und Moderne. Die Riehls sind zufrieden und Mies startet hier im Villenviertel in Potsdam-Babelsberg mit diesem Haus seine Welt-Karriere. In der Folgezeit, Mies ist inzwischen in das Büro des damals berühmtesten Architekten Deutschlands Peter Behrens in Neu-Babelsberg gewechselt, entstehen nach seinen Entwürfen verschiedene Villen im Berliner Westen. Walter Gropius, Bauleiter im Büro Behrens, kreuzt seinen Weg. Mit dem späteren Bauhaus-Gründer, arbeitet er an einer Kleinmotorenfabrik im Wedding und an einer Turbinenfabrik in Moabit. 1913, Mies hat sich inzwischen als freier Architekt in Berlin-Steglitz niedergelassen, heiratet er Ada Bruhn, eine reiche Tochter aus gutem Hause. Die Ehe wird zwar nicht glücklich, aber dennoch nie geschieden. Sie bekommen drei Töchter, was Ada nicht davon abhält, ihren untreuen Ehemann 1920 zu verlassen. Als Schreiber kann sich Mies durch den Ersten Weltkrieg retten, politisch uninteressiert sein Leben lang. Erst jetzt, in der Zeit nach dem Krieg um 1920, fügt er seinem Namen den Mädchennamen seiner Mutter "Rohe" hinzu und ein niederdeutsches "van der", was zeigen soll, daß der Krieg einen anderen aus ihm gemacht hat. Um seinen relativ luxuriösen Lebensstil zu finanzieren, führt er Bauaufträge aus, die längst nicht mehr zu seiner revolutionären Künstlerseele passen. Mit den Landhäusern reicher Zeitgenossen hat es dann aber ein Ende, als nach der Inflation endlich Geld für seine avantgardistische Architektur vorhanden ist. Daß er in seinem bisherigen Leben die Bekanntschaft mit Walter Gropius, Le Corbusier und Hendrik Petrus Berlage machte, prägt seine weitere Entwicklung entscheidend. Die jungen Architekten brachen mit alten akademischen Architekturvorstellungen auf der Suche nach radikal Neuem. Baukunst sei nun die räumliche Auseinandersetzung des Menschen zu seiner Umwelt und Ausdruck dafür, wie er sich darin zu behaupten vermöge. Kein starres Weltbild, kein althergebrachtes Gesellschaftsmodell mit fest zugewiesenem Platz soll bestimmend sein für die Stellung des Menschen in der modernen Welt. 1922 bringt Mies seinen Wettbewerbsbeitrag zum "Turmhaus" an der Friedrichstraße, ein ganz mit Glas ummanteltes Gebäude, monumental und kompromisslos. Er veröffentlicht in dieser Zeit fünf Idealentwürfe in Zeitschriften, ein Hochhaus in Stahlbeton und Wohnbauten, deren frei stehende Wände keine Raumbereiche mehr umschließen. Überwindung des Historismus durch strikte Rationalität war sein Lösungsvorschlag beim Aufbruch zu neuen architektonischen Ufern.

1929 entwirft Mies den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona, in dem sich in harmonischer Weise Innen-und Außenraum durchdringen. Schon bald wird dieser Bau zur Legende für die Klarheit des Rationalismus und ist laut Peter Behrens, "der schönste Bau des 20. Jahrhunderts". Mies ist Vizepräsident des Deutschen Werkbundes, Koordinator der Werkbundausstellung "Die Wohnung" und der Weißenhofsiedlung in Stuttgart und wird von 1930 -33 Direktor des Bauhauses in Dessau und Berlin. Er kreiert den MR-Stuhl, bestehend aus einem gebogenen Stahlrohr, einem Ledersitz und einer Rückenstütze und den "Barcelona-Sessel".

Nach Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gerät auch das Bauhaus zunehmend unter politischen Druck. Die Mitarbeiter beschließen 1933 die Selbstauflösung. Mies van der Rohes Bemühungen, sich mit den Nazis zu arrangieren, schlagen fehl. Er erhält keine Aufträge mehr, seine Vorschläge werden als "undeutsch" abgelehnt. Pluralismus und offenes Weltbild passen nicht in das gedankliche Konzept der Machthaber. Mies will das Land eigentlich nicht verlassen. Er zögert, auch der fremden Sprache wegen. Als ein amerikanischer Architekt, der den Deutschen sehr verehrt, ihm einen Bauauftrag verschafft, geht Mies van der Rohe für immer in die USA. Hier nun kann er verwirklichen, wovon er geträumt hat. Unendlich viele Projekte werden entwickelt und realisiert, wovon hier nur das 1954-58 entstandene Seagram-Building in New York erwähnt werden soll, ein Prototyp moderner Büroarchitektur. Er erhält eine Professur, hat ein Büro in Chicago und wird US-Staatsbürger.

In den sechziger Jahren bittet die Stadt Berlin den großen Architekten um ein Gebäude für die "Galerie des 20. Jahrhunderts". Mies schafft daraufhin einen lichten Bau aus Glas, einen klassischen Tempel in moderner Sprache und krönt damit sein Lebenswerk. Ein Jahr nach der Einweihung der "Neuen Nationalgalerie" stirbt er 1969 in Chicago.

Als Körper gewordene ewige Grundprinzipien der Architektur sind seine Bauten bezeichnet worden. Weniger ist mehr, hat Mies gesagt.